Studentenwerk SH benennt Wohnheim um
Das Studentenwerk Schleswig-Holstein wird das bisherige Professor-Hallermann-Haus in Kiel umbenennen. Diese Entscheidung wurde am Montag, den 9. Dezember 2024, vom Verwaltungsrat getroffen, um eine klare Haltung gegenüber der NS-Vergangenheit des bisherigen Namensgebers zu demonstrieren. Das Wohnheim wird den neuen Namen „Dr.-Aenne-Liebreich-Haus“ tragen.
„Mit der Entscheidung zur Umbenennung des Wohnheims möchten wir ein deutliches Zeichen setzen: für eine offene, vielfältige und tolerante Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung für die Vergangenheit bewusst ist“, erklärt Susann Schrader, Geschäftsführerin des Studentenwerks SH.
Das Wohnheim, das sich in der Johann-Fleck-Straße 6–14 befindet und Platz für über 300 Studierende bietet, wurde ursprünglich nach Prof. Dr. Wilhelm Hallermann benannt, der von 1946 bis 1969 Vorsitzender des Studentenwerks SH war. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere ein Gutachten der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), zeigen jedoch, dass Hallermann während des Nationalsozialismus tief in problematische Strukturen verwickelt war.
Er beteiligte sich als Gutachter an Prozessen des NS-Sondergerichts in Kiel, bei denen er zur Rechtfertigung von Todesurteilen beitrug. Außerdem war er als Beisitzer am Erbgesundheitsgericht aktiv in Beschlüsse zur Zwangssterilisierung eingebunden. Besonders kritisch bewertet das Gutachten seine Rolle in der Nachkriegszeit bei der Verharmlosung verdächtiger Todesfälle der sogenannten „Kinder-Euthanasie“ in der Psychiatrischen Klinik Schleswig und auch sein Stillschweigen in der „Heyde/Sawade-Affäre“, wodurch er einen Hauptakteur der NS-Euthanasiepolitik schützte.
„Auch, wenn Hallermann nach 1945 bedeutende Beiträge zur Förderung der Studierenden geleistet hat, sind die Verstrickungen in der NS-Zeit nicht mit unseren Werten vereinbar“, betont Schrader. „Die Umbenennung ist daher nicht nur ein symbolischer Schritt, sondern ein Ausdruck unserer Haltung.“
Das Wohnheim wird künftig „Dr.-Aenne-Liebreich-Haus“ heißen. Damit würdigt das Studentenwerk SH eine talentierte Wissenschaftlerin, deren Karriere und Leben durch die Verfolgung im Nationalsozialismus zerstört wurde.
Dr. Aenne Liebreich war eine jüdische Kunsthistorikerin, geboren am 2. Juli 1899 in Bocholt. Sie studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in München, Berlin und Bonn, wo sie 1926 zum Dr. phil. promovierte. Ab Frühjahr 1927 war sie als Assistentin am Kunsthistorischen Institut in Kiel unter Prof. Dr. Haseloff tätig. Ihre Forschungen und ihr Engagement für Studierende und Doktoranden fanden große Anerkennung. Im Sommer 1933 sollte sie sich habilitieren, was jedoch aufgrund der politischen Entwicklungen vom Ministerium nicht genehmigt wurde. Am 30. April 1933 wurde sie wegen ihrer „nicht-arischen“ Abstammung beurlaubt und am 30. Juni desselben Jahres auf Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen.
Nach ihrer Entlassung emigrierte Dr. Liebreich nach Frankreich. Tragischerweise nahm sie sich am 22. Juli 1939 das Leben, nachdem sie nach Ablauf ihrer Stipendien weder in Frankreich noch in England Arbeit finden konnte. Zu ihrem Gedenken existiert bereits ein Stolperstein im Niemannsweg 133 in Kiel. Dr. Aenne Liebreich war eine der insgesamt 58 während des Nationalsozialismus vertriebenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Kiel.
„Selbstverständlich wollen wir die ursprüngliche Benennung des Wohnheims nicht unter den Teppich kehren – im Gegenteil“, so Schrader. Vor dem Wohnheim soll im Zuge der Neubeschilderung eine Hinweistafel installiert werden, die die Gründe für die Umbenennung und die historische Rolle von Wilhelm Hallermann erläutert. Zusätzlich wird das Studentenwerk SH weiterführende Informationen und das vollständige Gutachten der CAU auf seiner Website zur Verfügung stellen, um eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu ermöglichen. Die Maßnahmen sollen im ersten Quartal 2025 umgesetzt werden.